Lebenslauf Martha Fuchs



Eine zu Unrecht vergessene Politikerin

 

 

 

 1 Martha Fuchs als Oberbürgermeisterin

1964.

 

Martha Fuchs

(01.10.1892  08.01.1966)

Oberbürgermeisterin

 

In ihrer Abschiedsrede vom Oberbürgermeisteramt am 20. Oktober 1964 formulierte Martha Fuchs folgendes: „Aber ich bin glücklich darüber, daß unter meinen vielen Freunden auch solche sind, die meine politischen Auffassungen nicht teilen. Wichtig ist nur, daß Politik und Menschen stets auseinandergehalten werden und daß immer der Mensch im Mittelpunkt des öffentlichen Wirkens steht.“ Ihre Rede schloss sie mit einer Mahnung, die auch in unserer Zeit nichts von ihrer Aktualität eingebüßt hat: „Der Frieden ist höchste und größte Tugend der Menschheit. Das haben uns die beiden Weltkriege in brutaler Deutlichkeit gelehrt. Darum müssen wir den geringsten Anfängen wehren, die dazu angetan sind, den parlamentarischen Gedanken und den demokratischen Staat zu ersticken.“1

Das sagte eine Frau, die fast 45 Jahre lang in der Politik gearbeitet hatte. Sie besaß ein waches Bewusstsein und warnte vor möglichen Gefahren, denn sie hatte bitter erlebt, was es heißt, in einem totalitären Staat zu leben und Verfolgung und Willkür ausgesetzt zu sein. Der Lebensweg dieser Politikerin verläuft durch vier unterschiedliche politisch-gesellschaftliche Systeme: das Kaiserreich, in dem sie sozialisiert wurde, die Weimarer Republik, in der sie ihre politische Arbeit aufnahm, das Terrorregime der Nationalsozialisten, das sie ausgrenzte und beinah vernichtete, und die Bundesrepublik Deutschland, in der sie fast 20 Jahre lang mit großem Engagement und Erfolg für die demokratische Gestaltung tätig war.

Geboren wurde sie am 1. Oktober 1892 als Martha Marie Büttner in Grubschütz, dem Vorwerk des St. Petri Stifts in Bautzen. Dort hatte ihr Vater Karl Johann Büttner die Stelle eines Vogts, eines Verwalters, inne. Er kam aus Dauban (Schlesien) und hatte sich aus bescheidensten Verhältnissen mit Intelligenz, Willenskraft und Zähigkeit emporgearbeitet. Er war ebenso wie seine Ehefrau Johanne Maria, geb. Nagel, unehelich geboren, was sicherlich mit allerhand Schwierigkeiten verbunden war. Die Familie blieb nicht lange in der kleinen sorbischen Ansiedlung Grubschütz, denn Karl Büttner erwarb 1898 das größte Haus am Fleischmarkt in Bautzen gegenüber dem massigen Bauwerk des St. Petri Doms. Das erworbene Haus, ein Barockbau, An der Petrikirche 1 bot Wohnraum für mehrere Familien und besaß einen Saal, den Karl Büttner, selbst SPD-Mitglied, der SPD und den Gewerkschaften als Versammlungsort zur Verfügung stellte. 

Die Familie Büttner zählte inzwischen sieben Personen. Auf Martha, die Älteste, folgten ein Bruder Hans und drei Schwestern, Hedwig, Friederike und Gertrud. Nach der Geburt der fünf Kinder begann Johanne Büttner zu kränkeln und starb im Juni 1905, als Martha noch nicht dreizehn Jahre alt war. Der Vater bürdete Martha die Erziehung der Kleineren auf, und so wurde das junge Mädchen über Nacht zur Ersatzmutter für die jüngeren Geschwister, was sich als prägend für ihr weiteres Leben erweisen sollte. Vormittags besuchte sie die Mädchenbürgerschule am Lauengraben, anschließend kümmerte sie sich um ihre Geschwister, was ihr eine Menge an Einfühlungsvermögen, aber auch ein gewisses Durchsetzungsvermögen abverlangte. Auf beides konnte die spätere Politikerin zurückgreifen, ebenso auf ihre Fähigkeit, Kompromisse zu finden, was sicherlich sehr oft vonnöten war. Abends half Martha Büttner in der Gastwirtschaft servieren, wobei sie sehr früh mit den Problemen der Arbeiter Bekanntschaft machte. In einem Lebenslauf von 1957 stellte sie es folgendermaßen dar: „Meine erste Berührung mit der Arbeiterbewegung liegt zurück bis in das Jahr 1904 [...] Bei niedrigen Löhnen, 10 bis 12stündiger Arbeitszeit, schlechten Arbeitsbedingungen und ebensolchen Wohnverhältnissen verlief damals das Leben des Arbeiters. Frauen und Kinder mussten mitverdienen. Schon in früher Jugend erwachte in mir der Wunsch, mitzuhelfen an der Schaffung besserer Verhältnisse.“2 Diesem Vorsatz hat sie sich ein Leben lang verpflichtet gefühlt.

 

 

2 Martha Büttner, 

16-jährig.

 

  

 

  

 

Martha Büttner wäre gern Lehrerin geworden, aber ihr Vater hielt nichts von zuviel Bildung für Frauen, im-merhin konnte sie ihm abringen, dass sie ein Jahr lang die Handelsschule besuchen durfte und damit eine Berufsvorbereitung erhielt für ihren späteren Beruf als Kontoristin. Ihre Schwestern hingegen blieben ohne Ausbildung, in ihren Heiratsurkunden steht 'Haustochter' oder 'ohne Beruf'. Als sie sechzehn Jahre alt war, verheiratete sich Karl Büttner zum zweiten Mal. Mit der 'Stiefmutter' kam Martha nicht gut zurecht und verließ deshalb nach Abschluss der Handelsschule das Haus und 'ging in Stellung', wie man damals sagte. Über diese knapp 10 Jahre dauernde Zeit der Abwesenheit aus Bautzen ist nur bekannt, dass sie in verschiedenen Stellen, z.B. in Jena und Leipzig als Kontoristin arbeitete. Auch ihre Lebensläufe geben hierzu keinerlei genauere Auskunft, diese Jahre bleiben ein weißer Fleck in ihrer Biographie. Gegen Ende des Ersten Weltkriegs kehrte Martha Büttner ins Elternhaus zurück, wann genau weiß man nicht. 

Ebenfalls wieder in seiner Heimatstadt Bautzen anzutreffen war Georg Fuchs, den Martha schon vor ihrem Weggang von seinen engagierten Reden in den SPD-Versammlungen in Büttners Gastwirtschaft kannte und schätzte. Er war inzwischen verwitwet und musste drei kleine Kinder versorgen. Martha Büttner und Georg Fuchs beschlossen sehr bald, dass sie ihren weiteren Lebensweg gemeinsam fortsetzen wollten und heirateten im Herbst 1919 in Magdeburg, wo Georg Fuchs eine Stelle als Redakteur bei der „Magdeburger Volksstimme“ gefunden hatte. Für Martha Fuchs wiederholte sich hier ein Lebensmuster: sie zog mit Liebe Kinder auf, zwei Mädchen und einen Jungen, die nicht ihre leiblichen waren. In den Erinnerungen der jüngeren Tochter Nora heißt es dazu: „Es war ein großes Glück für uns.“

Nach nur gut zwei Jahren, 

Ende 1922 zog die Familie nach Braunschweig um, wo Georg Fuchs zunächst als politischer Redakteur, dann als Chefredakteur beim „Volksfreund“, einem SPD-Organ, beschäftigt wurde. Martha Fuchs gefiel die neue Stadt, Braunschweig, sofort – „es war Liebe auf den ersten Blick“ sagte sie später einmal. Dort begann ihre politische Karriere mit dem Parteieintritt in die SPD 1923. Schon zwei Jahre später wurde sie in den Rat der Stadt Braunschweig gewählt und übernahm zunächst soziale Dienste, wie z.B. der Betreuung des Waisenhauses Beatae Mariae Virginis. Außerdem beteiligte sie sich an der SPD-Initiative zur Einrichtung eines Volkskindergartens in der Leopoldstraße. Darüber berichtete sie ausführlich in einer Wochenend-Beilage des 'Volksfreund'. Sie fand sehr deutliche Worte der Kritik zur Verantwortung der Gesellschaft gegenüber Kindern aus sozial benachteiligten Familien, Worte, die bis heute nichts von ihrer Gültigkeit verloren haben. Im Rat der Stadt Braunschweig engagierte sie sich für Schulwesen, allgemeine Bildungspolitik, Sport und Kulturpolitik. Sie versuchte in Zeiten der knappen Kassen zu verhindern, dass im Schulsektor Lehrerstellen eingespart wurden, weil sie der Meinung war, bei Bildung darf nicht gespart werden, denn diese sei die Grundvoraussetzung für ein demokratisches Gemeinwesen. Sie hatte auch Erfolg mit ihren Bemühungen, Lehrerstellen wurden nicht reduziert.

Als Martha Fuchs von 1927 bis 1930 ein Mandat im Braunschweigischen Landtag besaß, befasste sie sich wiederum mit den Themenbereichen, in die sie schon eingearbeitet war. Bei der Landtagswahl 1930 erreichte sie kein direktes Mandat, sondern erhielt nur einen Nachrückerplatz. 

Sie und ihr Ehemann Georg Fuchs genossen beide innerhalb der SPD hohes Ansehen und waren – wie wir heute sagen würden – sehr gut vernetzt. Zu ihren politischen, aber auch persönlichen Freunden gehörten unter anderem Dr. Heinrich Jasper, der mehrfache Staatsminister des Landes Braunschweig, und Otto Grotewohl, dessen politische Karriere über Sitze im Stadtrat, im Landtag, als Braunschweigischer Minister zum Reichstagsabgeordneten verlief, dessen jüngstes Mitglied er war. 

Die Familie Fuchs, deren Kinder sich in der Schule gut entwickelten, lebte inzwischen in einer komfortablen Wohnung in der Wabestraße. Gretel, die Älteste legte gerade in Berlin ihr Abitur ab, als Georg Fuchs Anfang 1930 plötzlich heftig erkrankte. Er starb noch nicht 45jährig nach kurzem Krankenhausaufenthalt an Krebs und ließ seine Ehefrau Martha und drei noch nicht mündige Kinder zurück. Kurz vor seinem Tod hatte er seinen Freund Otto Grotewohl als Vormund eingesetzt. Nun stand Martha Fuchs vor der Aufgabe, die Familie zu ernähren und zusammenzuhalten. Als Gewerbeaufseherin des Landes Braunschweig verdiente sie zwar hinreichend, allerdings verband sich ihre Arbeit mit häufiger Abwesenheit von Braunschweig, denn ihr Betätigungsfeld reichte vom Harz bis nach Thedinghausen bei Bremen. Ihr politisches Engagement ließ sie trotzdem nicht fallen, denn gerade in der Zeit des stetigen Anwachsens der NSDAP und der Brutalisierung des Alltags durfte man ihrer Meinung nach nicht nachlassen.

Die Regierungsbeteiligung der NSDAP machte sich bereits bemerkbar, denn eine angekündigte Übernahme Martha Fuchs' ins Beamtenverhältnis fand nicht mehr statt. 1933 verlor sie wie alle „Linken“ ihre Arbeitsstelle, ihre Witwenrente wurde ihr nicht mehr ausgezahlt und so stand sie ohne Einkünfte da. Gretel wurde, als sie im Sommer 1933 aus Braunschweig flüchten wollte, verhaftet, kam aber nach etwas mehr als einer Woche wieder frei. Im zweiten Versuch gelang ihr die Flucht ins Saarland, wo sie Hermann Ebeling, ihren Freund, heiratete. Nora, die inzwischen den Kapellmeister Alfred Kuntzsch geheiratet hatte, reichte die Scheidung ein und zog mit der kleinen Tochter Bärbel zu ihrer Mutter zurück. Der Sohn Hans bestand das Abitur mit Auszeichnung und konnte seine Lehrstelle bei der Deutschen Bank antreten. Den Lehrvertrag hatte sein Vormund Otto Grotewohl glücklicherweise für ihn im Jahr zuvor bereits abgeschlossen. Es waren also turbulente und belastende Jahre für Martha Fuchs, sowohl im privaten wie im politischen Leben.

Eine Weile versuchte sie sich relativ glücklos als Staubsaugervertreterin, konnte aber ab 1934 als Verkäuferin von Grudeherden arbeiten. Durch ihr Verkaufsgeschick und ihre Kochvorführungen war sie recht erfolgreich, sodass sie damit die Existenz der Restfamilie zunächst sicherte. Im Hinterzimmer ihres Grudeladens trafen sich Parteifreunde und Ehefrauen von im KZ Inhaftierten, um Neuigkeiten auszutauschen, um Trost zu suchen und praktische Unterstützung zu erhalten. Dort fand sich z. B. Margarete Steinbrecher ein, die Frau des ehemaligen Ministers Gustav Steinbrecher, der im KZ Mauthausen eingekerkert war und dort starb, oder auch Frau Bartels, die Frau des Chefredakteurs des „Volksfreund“, der auf Georg Fuchs gefolgt war. Vermutlich wegen dieser Kontakte wurde Martha Fuchs immer wieder von der Gestapo verhaftet und verhört, jedoch wurde sie abends stets freigelassen. 

Hans Fuchs verließ Deutschland nach abgeschlossener Lehre und ging 1937 zur überseeischen Niederlassung der Deutschen Bank in Chile. Er hoffte, auf diese Weise vor dem immer wahrscheinlicher werdenden Krieg in Sicherheit zu sein. Das waren Jahre voller Belastung für seine Mutter. Der Grudeladen trug auch in Kriegszeiten ab 1939 zur Existenzsicherung von Martha Fuchs und Nora mit beiden Kindern Bärbel und Matthias bei, denn von dem Essen der Kochvor-führungen blieb immer etwas übrig. Als 1943 alle kriegsunwichtigen Betriebe schließen mussten, traf es auch den Grudeladen und Familie Fuchs/Kuntzsch. Auf das Attentat auf Hitler vom 20. Juli 1944 folgte am 22. August 1944 mit der „Aktion Gewitter“ ein Rachefeldzug an allen noch auf freiem Fuß befindlichen ehemaligen Mandatsträgern der SPD und KPD sowie der Gewerkschaften. Vom Gestapo-Sitz in der Leopoldstraße wurden etwa 60 Inhaftierte unter ihnen Martha Fuchs ins Arbeitserziehungslager 21 bei Watenstedt verschleppt. Von dort aus wurde sie einige Wochen später ins KZ Ravensbrück überstellt, wohin Nora Kuntzsch und Otto Grotewohl Anfang Dezember reisten, um zu versuchen, sie wegen ihres schlechten Gesundheitszustandes dort herauszuholen. Die Aktion endete jedoch nicht erfolgreich. Martha Fuchs litt bis zur Auflösung des Lagers unter den barbarischen Bedingungen, insbesondere unter dem permanenten Hunger. Im April wurde eine große Gruppe von Frauen auf einen Todesmarsch nach Westen geschickt. In der zweiten Nacht gelang es ihr, mit zwei jüdischen Freundinnen zu flüchten, und so entging sie knapp der physischen Vernichtung. Sie hatte es mit eisernem Willen, Disziplin und Hoffnung geschafft, diese Leidenszeit zu überstehen.

„Ich bin auf dem Weg nach Br. über Berlin gekommen und habe bei Otto Grotewohl 10 Tage gelebt, später noch vier Wochen bei Erich Gniffke. Als ich dort in meinen Häftlingskleidern und noch ziemlich elend plötzlich auftauchte, da gab es selbst bei den Männern Tränen der Freude.“3 Beide Männer waren an der Wiederbegründung der SPD in Berlin beteiligt. In ihre Heimatstadt konnte sie erst im August zurückkehren, als die Elbe bei Magdeburg wieder passierbar war.

 

 

3 Martha Fuchs 1945.

  

 

  

Die Freude ihrer Tochter Nora und der Enkelkinder war unbeschreiblich. Am Tag nach ihrer Rückkehr versammeltensich viele alte Freunde und Parteigenossen, um sie auf das Herzlichste zu begrüßen. Nach einem sechswöchigen Kuraufenthalt in der Schweiz, den sie für ihre Erholung bitter nötig hatte, stieg Martha Fuchs sofort wieder in die Politik ein. Die britische Militärregierung ernannte sie zur Stadtverordneten und später zum Mitglied des Landtags, dann im Mai 1946 zur Ministerin für Wissenschaft und Volksbildung. Mit dieser Ernennung war Martha Fuchs „der erste weibliche Minister Deutschlands“ wie die „Hessischen Nachrichten“ titelten.4

Das Land Braunschweig wurde im November 1946 aufgelöst und ging im neuen Bundesland Niedersachsen auf, in dessen Landtag Martha Fuchs auch vertreten war. Der Ministerpräsident Hinrich Wilhelm Kopf setzte sie mit Zustimmung der britischen Militäradministration als Staatskommissarin für das Flüchtlingswesen ein, ein Amt, das weder über Kabinettsrang noch einen eigenen Etat verfügte. Wenn man bedenkt, dass diese Menschen, die Flüchtlinge, zu der Zeit etwa 30% der niedersächsischen Bevölkerung ausmachten, versteht man unmittelbar die Unmöglichkeit, den Anforderungen, die das Amt stellte, gerecht zu werden. Martha Fuchs, die zwischen Braunschweig und Hannover pendeln musste und viel im Land zu den unterschiedlichen Flüchtlingseinrichtungen unterwegs war, konnte die Not, die ihr allenthalben begegnete, nicht wirksam bekämpfen. Dafür wurde sie von vielen Seiten heftig kritisiert, aber es handelte sich eigentlich um Kritik an der Fehlkonstruktion des Amtes. Sie wurde physisch und psychisch krank und musste 1951, ob sie wollte oder nicht, eine Krankheitspause einlegen.

Bei den Kommunalwahlen 1952 kehrte sie wieder mit einem Mandat in die Ratsversammlung der Stadt zurück. Dass ihre gesundheitlichen Probleme nun ausgestanden waren, traf nicht zu, denn sie musste sich in den 50er Jahren mehrfach einer Kur unterziehen. Trotzdem setzte sie sich mit der ihr zur Verfügung stehenden Kraft wieder für die Bereiche Bildung, Kulturelles und auch Gesundheit ein. Ihre Arbeit als erfahrene Politikerin wurde sehr geschätzt und war weit über die Grenzen Braunschweigs hin bekannt. 

Allmählich begann sich die über 65jährige auf den Rückzug ins Privatleben einzustellen und kaufte sich einen Ohrensessel. Der aber musste noch warten, denn im Mai 1959 kam auf Martha Fuchs eine neue Aufgabe zu. Der bisherige SPD-Oberbürgermeister Otto Bennemann wechselte nach Hannover, wo er die Stelle des niedersächsischen Innenministers antrat. In das nun vakant gewordene Amt des Oberbürgermeisters wurde Martha Fuchs mit den Stimmen der SPD gewählt, die im Rat über 51% verfügte. Sie war damals die zweite gewählte Oberbürgermeisterin in der Bundesrepublik und bis heute die einzige Frau in Braunschweig in dieser Funktion. Es erwarteten sie vielfältige Aufgaben, da die enormen Kriegsschäden noch längst nicht beseitigt waren. So setzte sie sich wie auch ihr Vorgänger vorrangig für den Wohnungsbau ein, denn es gab einerseits durch den zerstörten Wohnraum, andererseits durch den Zuzug von zahlreichen Flüchtlingen einen riesigen Bedarf in diesem Sektor. In ihrer Antrittsrede formulierte sie den Anspruch, für alle Bürger ihrer Stadt da zu sein und stets den Menschen in den Fokus der Politik zu stellen. Summarisch lässt sich für ihre Amtszeit konstatieren, dass sie diesem Plan tatsächlich gerecht wurde. Neben dem Wohnungsbau wurde der Schulbau gefördert, 8 Erweiterungs- bzw. Neubauten wurden ausgeführt. Das Waisenhaus erhielt einen Neubau, Sportplätze und Sportanlagen wurden eingerichtet, neue Kindergärten und Altenheime wurden geschaffen. Den beiden wissenschaftlichen Hochschulen, der damaligen Werkkunstschule, heute HBK, der Volkshochschule, den öffentlichen Büchereien kam Förderung zugute. Die Oberbürgermeisterin förderte aktiv das Zustandekommen der Städtepartnerschaften mit der britischen Stadt Bath, mit der südfranzösischen Stadt Nîmes und der indonesischen Stadt Bandung. Den Antrittsbesuch in Bandung traute sie sich wegen ihrer gesundheitlichen Probleme nicht mehr zu und ließ sich von Oberstadtdirektor Weber und Professor Georg Eckert vertreten.

 

 

4 Empfang der indonesischen Delegation in Braunschweig 1959.

 

Für den kulturellen Bereich verdient der Bau der Stadthalle besonders hervorgehoben zu werden, ein für Martha Fuchs spezielles Anliegen. War sie bei der Planung, Grundsteinlegung, beim Richtfest immer an erster Stelle beteiligt, so konnte sie aus Krankheitsgründen an der feierlichen Einweihung nicht teilnehmen. Zu dem Zeitpunkt hatte sie bereits wegen ihres relativ hohen Alters und ihres Gesundheitszustands vorzeitig ihr Amt niedergelegt. 

Anlässlich ihres 70. Geburtstages wurden ihr das Bundesverdienstkreuz und der Niedersächsische Verdienstorden verliehen. Wenige Tage nach der Amtsübergabe an ihren Nachfolger Bernhard Ließ Anfang November 1964 zeichnete sie der Rat der Stadt mit der Verleihung der Ehrenbürgerwürde der Stadt Braunschweig aus. Das bedeutete ihr viel, ebenso wie die zahlreichen persönlichen Briefe von „ihren“ Bürgern, die ihrer „Stadtmutter“ für den Ruhestand das Beste wünschten. Dass viele Einwohner der Stadt mit dieser menschlichen Politikerin wohl einverstanden waren, zeigt sich u.a. daran, dass die SPD bei den Kommunalwahlen 1962 auf über 54 % kam. Wenngleich es laute Stimmen in der Stadt gab, die Martha Fuchs heftig angriffen, weil sie „das Schloss abgerissen“ hätte. Dazu ist Mehreres klarzustellen: Erstens handelte es sich nicht um das Schloss, sondern um die Schlossruine, zweitens hatte Martha Fuchs den Abriss weder initiiert noch allein zu verantworten, drittens gab es einen Vertrag zwischen dem Land Niedersachsen und der Stadt Braunschweig, der den Ablauf und die Fristen klar regelte, viertens zahlten weder die Stadt noch das Land irgendwelche Summen, sondern es handelte sich lediglich um einen Verrechnungsvorgang, was in der einschlägigen Literatur oft falsch dargestellt wird. Als Martha Fuchs ihr Amt antrat, blieben ihr und dem Oberstadtdirektor Hans-Günther Weber aus den auf fünf Jahre angelegten Vertrag gerade noch zehn Monate, um eine vernünftige und vor allen Dingen finanzierbare Lösung zu finden. Widersprüchliche Gutachten von Bausachverständigen vereinfachten dabei den Entscheidungsprozess nicht und erbetene Zuschüsse von Seiten Dritter wurden verweigert. Also fiel der Beschluss mit allen Stimmen der SPD im Rat der Stadt für einen Abtrag der Schlossruine, deren gut erhaltene Teile in einer stillgelegten Sandgrube eingelagert wurden, wozu ein Kataster erstellt wurde. Einige Teile wurden auch im städtischen Bauhof untergebracht. Entsprechend stadtplanerischen Gedanken der damaligen Zeit wurde ein Park anstelle eines Bauwerks angelegt. Den Kritikern an dieser Entscheidung gelang es, à la longue das positive Bild, das viele Zeitgenossen von Martha Fuchs hatten, so zu verfinstern, dass sie heute im öffentlichen Diskurs der Stadt, wenn überhaupt, als Negativfigur auftaucht und dass ihre Verdienste um die Stadt und der Stellenwert, der ihr als Politikerin und Mensch zukommt, in Vergessenheit geraten sind.                                                                                (Regina Blume)

 

 Quellen und Literaturangaben: 1 StA Braunschweig, E310, Protokoll der 1. ordentlichen Sitzung des Rates der Stadt Br. am 21. Okt. 1964, S. 5 f.; 2 StA Br., G IX 76: 474, Lebenslauf M. Fuchs Juni 1957; 3 Brief M. Fuchs an Gretel Ebeling 20. September 1945; 4StA Br. G IX76:173 Hessische Nachrichten vom 14. Mai 1946.

Fotos1-4 StA Braunschweig.